Cover
Titel
Friedrich Christian Laukhard (1757–1822). Schriftsteller, Radikalaufklärer und gelehrter Soldat


Herausgeber
Naschert, Guido
Erschienen
Paderborn 2017: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
218 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Maximilian Lässig, Digitale Medien, Universitätsbibliothek Trier

Wie facettenreich die Aufklärung war, zeigt sich besonders in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Randfiguren. Diese schrieben und publizierten abseits des literarischen Höhenkamms vielzitierter Autoren und einer omnipräsenten Aufklärungsdefinition. Mit einer solch randständigen Persönlichkeit, deren Schriften „zum ‚literarischen Souterrain‘ der deutschen Literaturgeschichte um 1800 gezählt werden“ (S. 7) können, beschäftigt sich der hier vorliegende, von Guido Naschert herausgegebene Sammelband zu Friedrich Christian Laukhard (1757–1822). Laukhards Schriften waren, wie der Herausgeber in seinem einleitenden Text festhält, zwar nie wirklich „in einer Weise verschollen, dass wir Laukhard heute geradezu wiederentdecken müssten.“ So wurden Teile seines Werkes schon im 19. Jahrhundert neu publiziert, da sie lebensnahe „Schilderungen des Studenten- und Soldatenlebens der Aufklärungszeit“ boten. Auch faszinierte die damalige Forschung der „ungewöhnliche[] soziale[] Abstieg“ Laukhards, weshalb er schon 1862 mit einer biographischen Studie bedacht wurde. Dennoch blieb Laukhard bis in die 1960er-Jahre hinein „auf das Stereotyp des ‚fahrenden Magisters‘ und ‚berüchtigten Burschen‘ reduziert“ (jeweils S. 7) und „die außergewöhnliche Bedeutung der Laukhardschen Schriften in Teilen der Aufklärungsforschung bis heute unbekannt“ (S. 11).

Die dem Sammelband zugrunde liegenden Artikel entstammen einerseits einem im Juli 2010 veranstalteten Kolloquium, das im Kontext des Gothaer Graduiertenkollegs „Untergrundkommunikation 1600–1800“ stattfand. Andererseits wurde der Sammelband um weitere Aufsätze ergänzt. Er beinhaltet acht Abbildungen sowie im Anhang eine informative Karte zu Laukhards Militärdienst zwischen 1792 und 1795, eine Zeittafel zu Stationen seines gesamten Lebens sowie ein hilfreiches Namensregister, das die gezielte Recherche innerhalb des Bandes deutlich vereinfacht.

Gegliedert ist das Buch in drei Themenbereiche, die sowohl einen biographischen Einblick als auch die Vertiefung in Laukhards Werk ermöglichen. Im ersten, mit „studentische Provokation“ betitelten Bereich beschäftigt sich Malte van Spankerens Artikel mit Laukhards Zeit als Theologiestudent in Halle zwischen 1782 und 1783. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Charakterisierung von Laukhards Freunden und Bezugspersonen und der Skizzierung ihres Einflusses auf ihn. So wird ausführlich auf das besondere Verhältnis zu dem Theologieprofessor Johann Salomo Semler (1725–1791) eingegangen, bei welchem Laukhard wohnte und der zu seinem wichtigsten Förderer und Mentor wurde. Geradezu lebendig vermag es van Spankeren, Laukhards Studentenleben darzustellen, wobei ebenfalls die ausführlichen und äußerst informativen Fußnoten beachtens- und erwähnenswert sind.

Im zweiten Artikel beschäftigt sich Pietro Daniel Omodeo mit Laukhards Dissertation über Giordano Bruno im Kontext der frühneuzeitlichen Bruno-Rezeption. So wird zuerst von Omodeo dargestellt, dass Giordano Brunos „Gottlosigkeit“ besonders „im Frankreich des 18. Jahrhunderts […] zum Symbol des Rationalismus“ geworden war und somit „sogar als Vorläufer des Materialismus betrachtet“ (S. 40) wurde. Laukhard, der stark von seinem freidenkerischen Vater geprägt worden war, habe inhaltliche Fehler in seiner Dissertation in Kauf genommen, um stattdessen den prototypischen Freidenker Bruno umso emphatischer beschreiben zu können: „Bruno war für ihn der unruhige Denker, der Kritiker der Tradition und der Autorität, dessen Ideen und Schicksale den großen Themen des achtzehnten Jahrhunderts vorausgehen: Kritik, Toleranz und freies Denken.“ (S. 54) Während die Beschreibung, Einordnung und Bewertung von Laukhards Dissertation durch Omodeo für Experten der Biographie und Philosophie Giordano Brunos problemlos verständlich sein wird, hätte es jedoch zur allgemeinen Zugänglichkeit beigetragen, wäre der Autor an einigen Stellen etwas ausführlicher auf bestimmte Sachverhalte eingegangen.

Mit einem Appendix, der Übersetzung von Laukhards Dissertation aus dem Lateinischen, schließt der erste Buchteil ab. Es folgt der zweite Teil „Radikalaufklärung und Soldatenleben“, in welchem zuerst Guido Naschert auf Laukhards radikalisierte Aufklärung eingeht. Anfangs widmet sich Naschert dem Phänomen der „Radikalaufklärung“ bzw. der Frage, ob sich Radikalität und Aufklärung verbinden lassen. Hierbei wird am Rande deutlich, dass dem Autor die rein thematische Definition von „Radikalaufklärung“, wie sie vor allem von Jonathan Israel vorgenommen wird, nicht ganz behagt: So sei es beispielsweise nur bedingt möglich, für Laukhard „eine Liste von [dessen] radikalen Ideen zusammenzustellen“. Stattdessen versucht Naschert, „eine Analyse auszuprobieren, die Radikalisierung als ein kontextuelles Zusammenspiel von Sachgründen, Motivlagen und äußeren Faktoren untersucht und die Gleichzeitigkeit von emanzipatorischen und weniger emanzipatorischen Elementen aufdeckt.“ (S. 73) Ebenfalls betont Naschert in einer Fußnote, dass die Israel’sche Sichtweise, Deisten könnten keine radikale Aufklärung verfolgt haben, nicht praktikabel ist: Stattdessen geht er zusammen mit Winfried Schröder davon aus, „dass deistische Positionen durchaus der Radikalaufklärung zugerechnet werden können, weil das Phänomen der Radikalaufklärung eben nicht nur von den Ideen her bestimmt werden kann und Motive und Faktoren die einzelnen Lager verbanden.“ (S. 27, Anm. 4) Unter diesem Gesichtspunkt ist es interessant, dass Naschert, wie auch alle anderen Autoren des Sammelbandes, die eine „Radikalaufklärung“ erwähnen, latent an Israels rein thematischer Definition festhält, statt die Frage nach der Aufklärung von thematischen Vorgaben zu lösen.1

Ebenfalls geht Naschert auf Laukhards Faszination für Obszönitäten ein, welche für die damaligen Studenten „als Ausweichstrategien und Kompensationsmechanismen“ (S. 82) angesehen werden können. Gleichzeitig wird aus ideengeschichtlicher Perspektive die Frage gestellt, „inwieweit sich Laukhards Gefallen an Obszönitäten als Ausdruck eines radikalaufklärerischen Agierens interpretieren“ (S. 83) ließe. Prägend für Laukhards frühe Radikalisierung sowie sein Denken seien „neben familiären Startbedingungen die karnevaleske und gewaltbereite Studentenkultur, intellektuelle Einflüsse (italienische Renaissance, Sozianismus, Deismus), die Ordensverbindungen mit ihrer möglichen Distribution radikaler französischer Aufklärer“ und „das staatswissenschaftliche Denken Schlözers“ (S. 90) gewesen.

Nachfolgend widmet sich Anne-Simone Rous einer abenteuerlichen Episode aus Laukhards Soldatenleben: Er sei als Spion auf geheimer Mission in das belagerte Landau geschickt worden, um dem dortigen Kommandanten ein Bestechungsangebot zu überbringen. Rous erörtert, dass Laukhards Bericht seiner Mission zweifelhaft sei und er sich möglicherweise nur als Spion inszeniert haben könnte, um eine Desertion zu vertuschen. Während die Darstellung von Laukhards Bericht großen Raum einnimmt, wird sprachlich nicht immer klar, ob es sich um einen Tatsachenbericht oder um Laukhards eigene Sichtweise handelt. Auch stellt sich die Frage, ob sein Bericht nur aufgrund der sprachlichen Differenzierung der Begriffe „Spion“ und „Parlamentär“, an die sich Laukhard nicht gehalten habe, in Zweifel gezogen werden kann. Zudem ist fraglich, ob es quellenkritisch ausreicht, der Gegendarstellung des Landauer Pfarrers Johann Peter Ackermann nur deshalb „mit einiger Wahrscheinlichkeit mehr Glaubwürdigkeit zu schenken, da sich im 19. Jahrhundert zahlreiche Pfarrer um die Ortschroniken bemühten und dabei durchaus wissenschaftlich wertvolle Geschichtsforschung betrieben.“ (S. 107)

Im letzten Teil des Sammelbandes „Thematische Lektüren“ stellt Michael Multhammer der Biographie Laukhards die Lebensbeschreibungen von Johann Christian Edelmann und Johann Gottfried Seume gegenüber. Er erläutert, welche Strategien die Autoren in ihren Texten anwandten, um „ihre von den Konventionen und Erwartungen der Gesellschaft im Allgemeinen oder aber partikularer Gemeinschaften abweichenden Lebensläufe zu legitimieren.“ (S. 142) Zuerst stellt Multhammer die Bedeutung der Begriffe „autobiographisch“ und „nonkonformistisch“ dar und untersucht anhand dieser Definitionen die besagten Biographien: So handelt es sich bei Edelmanns Biographie um eine eigenperspektivische Bildungsgeschichte, die beschreibt, wie er sich von der Religion löste und dem Deismus zuwandte. Hier wird „das Unangepasste […] zum strukturierenden Programm eines Lebens“ (S. 132), wodurch Edelmann Deutungshoheit über die eigene Biographie zurückerlangte. Bei Laukhard hingegen, der nach Multhammer „einen ungeheuren Gefallen an seinen Zoten und Skandalgeschichten“ (S. 135) fand, nehmen moralische Reflexionen nur geringen Raum ein. Stattdessen kritisierte er ausführlich die Kirche. In Seumes Biographie besteht das Nonkonforme hingegen in seiner kleinbäuerlichen Herkunft, durch die er „zeitlebens nicht privilegiert“ war, aber „dennoch auf eine Bildungsgeschichte ganz besonderer Art zurückblicken“ (S. 140) konnte. Er trennte konsequent Moral von Religion, da er „nicht mehr religiös sein“ könne, „weil er ehrlich sein will.“ (S. 141)

Ebenfalls mit dem Vergleich dreier Biographien beschäftigt sich Andrew McKenzie-McHarg in seinem Artikel. Er stellt Laukhards Biographie jenen seines Mentors Semler und der Karl Friedrich Bahrdts gegenüber. Interessant ist diese Konstellation deshalb, weil zwischen Semler und Laukhard zwar eine Vater-Sohn-Beziehung herrschte und Letzterer von Bahrdts theologischem Standpunkt fasziniert war, aber Semler und Bahrdt in private wie wissenschaftliche Konflikte verwickelt waren und sich als Feinde betrachteten.

Abschließend beschäftigt sich Oliver Bach in seinem Artikel mit Laukhards Roman Marki von Gebrian. Nicht die titelgebende Figur, die weder besonders positiv noch negativ dargestellt wird, steht im Mittelpunkt, sondern vielmehr „die Umwelt des Marki und die dort geführten Debatten.“ (S. 186) Der „emotiv verfahrende[] auktoriale[] Erzähler“ wurde von Laukhard so gestaltet, dass er „sich von der Hauptfigur in einem stets unübersehbaren Gestus moralischer wie intellektueller Überlegenheit distanziert und damit geradezu selbst zur Kontrastfolie des Titelhelden wird“ (S. 187). Trotz seiner Kritik am Adel lobt Laukhard laut Bach in seinem Roman die Herrschaft eines weisen Monarchen, der, „erst einmal angemessen gebildet und ausgebildet“ (S. 207), durch nichts in seinen guten Handlungen beeinträchtigt werden könne. Mit Blick hierauf und bezogen auf Jonathan Israels Verständnis von Radikalaufklärung ist es für Bach fraglich, ob Laukhard nach 1800 noch als Vertreter der politischen Radikalaufklärung anzusehen ist.

Insgesamt handelt es sich um einen sehr informativen Sammelband, der hoffentlich dazu beiträgt, die weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit Laukhard und anderen Randfiguren der Aufklärung anzuregen und zu vertiefen.

Anmerkung:
1 In diesem Zusammenhang sei auf Winfried Schröders Definition der Aufklärung als „Kritik, der sich alles unterwerfen muss“ verwiesen, die auf einer Aussage Kants basiert. Diese Definition kommt ohne die Notwendigkeit aus, konkrete Themen als „radikal“ zu definieren, da die Radikalität in der konsequenten Kritik aller möglichen Themen besteht. Vgl. Winfried Schröder, Radikalaufklärung in philosophiehistorischer Perspektive, in: Jonathan I. Israel / Martin Mulsow (Hrsg.), Radikalaufklärung, Berlin 2014, S. 187–202, hier S. 188.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension